Segmentation Cavity in Zero Gravity

Dachlatten, Eisenstangen, Acrylglas, Rigipsplatten, Bauschaum, Pappelholzstämme, Klebebänder, Spiegelfolie, Kunststoffseile, verschieden beschichtete Spanplatten, Neonröhren, Elektrokabel, Strohhalme, Dispersionsfarbe, Lacke; eine Rauminstallation zur Gruppenshow “ Säle in frischem und leichten Schmuck“ in der Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster mit Kathrin Schlegel, kuratiert von Gail Kirkpatrik Grundmaß 5 x 10 x 9 m variabel Bild 3 und 4: “ Make Music – 45 Comments“ Orgel, präparierter Schwan, geköpftes Weinglas mit Weinstein, Kunststoffkugel, Salholzäste, Bauschaum und Tischlerplatte Wandgrösse 3 x 6 x 0,80 m, 2005

Immer wieder konfrontiert Gehlen den Betrachter mit einer fast unüberschaubaren Anhäufung unterschiedlicher Materialien und künstlerischer Formen. In seinen Rauminstallationen vereint der Künstler Verpackungen und Baumaterialien aus elektronischen Geräten, Alltagsgegenständen, Beleuchtungen, Verlängerungsleitungen, Bildern aus Printmedien, Computerzeichnungen, Diagrammen usw., die chaotisch wirken, aber dennoch ein untergeordnetes Ordnungssystem bieten. Gehlens große künstlerische Installation „Segmentation Cavity in Zero Gravity“ nimmt fast ein Drittel der gesamten Ausstellungsfläche ein und erweckt Bilder eines fliegenden Objekts, das auf dem Boden des Raumes landen wird. Sein Innenleben wird von einer transparenten Plexiglaskapsel bestimmt, die über dem Boden schwebt.

Eine Vielzahl von Kunststoffelementen aus Holz und Kunststoff, Drähten und prismatischen Formen entstehen und strahlen in den Raum aus. In mehreren Stümpfen, die sich in der Mitte von Gehlens Struktur befinden, scheint sich der fantastische Kosmos der Schöpfung in der Ausstellungsarchitektur zu verfangen, als ob eine außerirdische Kraft versucht hätte, mit unserer Welt in Kontakt zu treten.

Gehlen interessiert sich für die Vielfalt der menschlichen Systeme, Denkweisen und Wahrnehmungsmuster, die etabliert wurden, um aus dem Chaos einen Sinn zu formen. Wunschdenken und Hightech-Wissen, Geschichte und Zukunftstrends, die erhabene und weltliche, zierliche Ordnung und das fast hysterische Chaos gehen in Gehlens künstlerischen Konstrukten Hand in Hand.

Auf den ersten Blick wirkt seine zweiteilige Installation für die Galerie für Zeitgenössische Kunst in Münster wie ein brutaler Horror Vacui voller sinnlicher Eindrücke. Und doch entdeckt man nach einiger Zeit die deutlichen Spuren einer sich verschärfenden und regulierenden Kraft, die aus ihrer Mitte eine Art harmonische Schönheit ausstrahlt. Der zweite Teil von Andreas Gehlens Werk mit dem Titel „Make Music – 45 Comments“ entstand aus symbolisch aufgeladenen Dingen des Alltäglichen: einer zerbrochenen Orgel, einem ausgestopften Schwan, einem geköpften Weinglas und einem Konstrukt, das einem Stein aus Zweigen ähnelt.

Gehlen integriert diese Objekte wie dreidimensionale Puzzleteile in die aufgeschnittene Wand des Ausstellungsraumes; eine Wand, die sich zwischen Gehlen’s Ausstellung von Installationsarbeiten und der profanen Architektur des ehemaligen Lagerhauses positioniert, wurden diese Elemente in die Welt dieses Lebens in Gehlen’s Universum jenseits der Trennwand integriert oder haben sie sich einfach nur losgelöst und von Gehlen’s Welt befreit?

Dr. Gail B. Kirkpatrick

DIE ERSTE VORAUSSETZUNG FÜR DIE UNSTERBLICHKEIT IST DER TOD*

Zentrales Thema in Andreas Gehlens Werk ist das Streben des Menschen nach seinem eigenen Verständnis von Raum und den ihn bestimmenden Elementen. Damit schafft er nicht nur Raum als etwas Abstraktes, sondern auch als Spiegel einer sozialen Konstruktion, als Weltmodell. Der Betrachter wird in ein System eingebunden, das auf einem ungünstigen Gleichgewicht zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos basiert. Die Frage, die einem unwillkürlich in den Sinn kommt, ist, ob wir den dargestellten Kräften gewachsen sind: Vektoren definieren den Raum und bestimmen die Richtung eines Energieflusses, der von einer Anhäufung von Baumaterialien und dem Abfall einer Wohlstandsgesellschaft genährt wird. Andreas Gehlen schöpft dies aus verschiedenen Kulturschichten, die unter unser Unbewusstes eingetaucht sind. Oft versteckt, nehmen diese unbewussten Zustände die Form von Traumsequenzen an. Dabei stellt Gehlen unser Modell der linearen Abfolge der Zeit in Frage und hinterfragt unseren Wunsch, ein permanentes und endgültiges Weltverständnis zu konstruieren.
Im Zentrum von Gehlens individueller Mythologie steht das Paradoxon, dass die vergängliche Zeit notwendigerweise zum Träger der Saat des Lebens wird. Im Gegensatz zu Alexander von Humboldts wissenschaftlicher Welterkundung ist Gehlens Schöpfung eine künstlerische. Seine Installationen zeigen eingefrorene Transformationen des vierdimensionalen Raums. Sie können als eine spezifische Analyse des Unentschlüsselbaren beschrieben werden. Die visualisierte Energie wird als eine elementare Kraft verstanden, aber auch als ein Werkzeug des kulturellen Fortschritts, das vom Menschen gelenkt wird und unweigerlich alles andere ersetzen wird. Mit seinem Werk entlarvt Gehlen unsere utopische Kontrolle über die Natur als größenwahnsinnige Macht, während er gleichzeitig die Schönheit ihrer Verwandlung verehrt.

Jens Mentrup

 

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